Gewinnt Langnau ein Heimspiel, dann wirft ein Fan mit Sitzplatz beim Eingang zu den Kabinen-Katakomben Langnaus Captain und Topskorer Harri Pesonen einen Flachmann zu. Der Finne nimmt einen Schluck daraus und wirft den Flachmann dem Fan wieder zu.
Harri Pesonen durfte es wieder tun. Sein Ritual wird Routine. Das 3:1 gegen Ambri war der vierte Sieg in den letzten fünf Heimspielen. Wenn nicht noch der Turm der reformierten Kirche auf den Gasthof Bären fällt, werden die Emmentaler zum ersten Mal seit 2019 die Qualifikation nach oben verlängern.
Der verletzungsbedingte Ausfall von Goalie-Titan Stéphane Charlin hat gegen Ambri keinerlei Folgen. Luca Boltshauser pariert 96,97 Prozent der gegnerischen Abschlussversuche und ist damit statistisch auf Augenhöhe der blessierten Nummer 1. Seine Vordermänner haben ihm mit seriöser Defensivarbeit viel geholfen. Die Langnauer gewinnen mit Verstand, Disziplin und Taktik. Sie werden am Ende der Qualifikation mindestens Rang 10 belegen.
Eine ganz besondere Qualität dürften die Fans gar nicht bemerkt haben: die Kadertiefe. Die sportliche Basis ist inzwischen so breit und stabil, dass ein NHL-Draft bei den Junioren eingesetzt wird. Weil er nicht mehr gut genug ist für Einsätze in der National League.
Jiri Felcman (19) hat seinen Stammplatz verloren und die letzten drei Partien in der «Kinderliga» (Elite-Junioren) bestritten. Felcman ist kein gewöhnlicher Junior: Er ist bereits als tauglich für die NHL taxiert worden. Seit 2020 bilden ihn die Langnauer aus, seit dieser Saison hat er eine Schweizer Lizenz und belastet das Ausländerkontingent nicht mehr.
Chicago sicherte sich beim NHL-Draft 2023 die Rechte am Mittelstürmer (Draft-Nr. 23), der inzwischen bereits 75 Junioren-Länderspiele- sowie die U18- und U20-WM für Tschechien bestritten hat. Er ist ein flinker Titan mit NHL-Postur (193 cm/90 kg), der die Mannschaft eigentlich in allen drei Zonen besser machen kann.
Trotz NHL-Postur sehen die Scouts, die ihn intensiv beobachten, im physischen Bereich noch Mängel: zu wenig Kraft, eine zu geringe Spielintensität. Für seine Statur ist Felcman aber erstaunlich beweglich und er hat mit der Scheibe einen explosiven Antritt. Ein cooler Vollstrecker wird er trotzdem wohl nie sein. Aber mit seinem hoch entwickelten Gespür für Situationen und Mitspieler vermag er schnelle Gegenangriffe («Turnovers») auszulösen.
Seine besondere Qualität ist eine weit überdurchschnittliche Spielintelligenz, die ihn zu einem exzellenten Boxplay- und Powerplay-Spezialisten macht. Also beste Voraussetzungen für unsere Tempoliga.
Für seine Entwicklung sind Einsätze im Erwachsenen-Hockey zwingend erforderlich. Bei Langnaus kriselnden Elite-Junioren (acht der letzten zehn Spiele verloren und Trainer Jörg Reber seit längerer Zeit arg in der Kritik) ist er unterfordert. Diese Saison hat der Tscheche in der National League in 37 Partien bereits 10 Punkte beigesteuert und fast 12 Minuten Eiszeit erhalten. Und trotzdem ist er in den letzten vier Partien (gegen Lausanne, die ZSC Lions, Bern, Lugano und nun Ambri) nicht mehr eingesetzt worden.
Gegen Ambri formierte Thierry Paterlini die vierte Linie in der Grundaufstellung mit Oskars Lapinskis (22), Joel Salzgeber (23) und Patrick Petrini (23). Dafür hat Juri Felcman die drei Elite-Junioren-Spiele gegen Lugano, Lausanne und Ambri bestritten (besser: bestreiten müssen) und dabei zwei Tore erzielt.
Was ist los? Langnaus Trainer reagiert auf die entsprechende Erkundigung etwas irritiert und fragt, warum ausgerechnet das interessiere. Nun, wenn ein NHL-Draft nicht gut genug ist für die vierte Linie der SCL Tigers, dann interessiert das schon.
Handelt es sich um eine Strafversetzung zu den Junioren? «Nein, überhaupt nicht», sagt Thierry Paterlini. «Er trainiert mit der Mannschaft, aber er ist momentan nicht gut genug. Einsätze bei unserem Partnerteam in Chur sind diese Saison lizenztechnisch nicht mehr möglich. Deshalb bekommt er bei den Junioren Spielpraxis.» Es gehe ums Leistungsprinzip.
Das «Sorgenkind» kann sich also ins Team zurückkämpfen. Der Vertrag in Langnau läuft noch bis Ende der nächsten Saison.
Gegen Ambri zum zehnten Mal in dieser Saison ein ausverkaufter Ilfis-Tempel und eine Rekord-Stadionauslastung von 95,18 Prozent (2022/23 waren es lediglich 83,18 Prozent), ein sicherer, nie in Frage stehender Sieg gegen Ambri (3:1), Luca Boltshauser so gut wie Stéphane Charlin, Rang 7 in der Tabelle und ein NHL-Draft, der um seinen Stammplatz kämpfen muss – die Langnauer rocken wie noch nie seit dem Wiederaufstieg. Das zahlt sich nicht nur beim Ticketverkauf aus.
Marketing-Chef Erich Kropf sagt, dass ein Heimsieg mit höherem Umsatz in der Gastronomie zinse: «Wir machen bei einem gewonnenen Spiel zwischen 20'000 und 30'000 Franken mehr Umsatz als nach einer Niederlage. Weil unsere Fans länger im Stadion bleiben.»
Tatsächlich war die VIP-Loge noch um 23.30 Uhr gut belegt. Auch von Besuchern, die von weit her angereist waren. Ehrengast Urban Leimbacher (Goalie-Held bei der ersten Playoff-Saison 2010/11) machte sich erst lange nach 23 Uhr auf den Weg heim ins Züribiet.
Das 3:1 gegen Ambri war der 14. Heimsieg in dieser Saison. Das macht nach Erich Kropf und Adam Riese über 350'000 Franken Mehreinnahmen. Da darf sich Captain und Topskorer Harri Pesonen wahrlich einen Schluck aus dem Flachmann gönnen.